Sonntag, 30. Juni 2013

Die Krux mit den Hühnern

Es ist ein beliebtes Motiv in den Filmen gegen die Lebensmittelindustrie: ein Arbeiter räumt Hennenställe leer; packt Hennen mit einer Hand an einem Bein, gibt sie in die andere Hand in der schon einige an ihren Füßen hängen und schmeißt sie in Kisten, in denen sie dann zum Schlachthof gefahren werden.
Es ist eine Metapher für vieles für das die moderne Lebensmittelindustrie steht: die Gesichtslosigkeit und Objektisierung der Tiere, das möglichst zeit- und mühensparende Händeln, Gefühlslosigkeit im Umgang mit dem fühlenden Tier und Herzlosigkeit gegenüber der Angst im Ausgeliefertsein.

Setzen wir das Szenario auf eine grüne Wiese, ein Hühnermobil auf einer Kleegrasfläche, blühende Holunder in der Hecke, ein alter Backsteinbauernhof im Osnabrücker Land mit blühenden Rosen, reifenden Kirschbäumen, Wind, Regenschauer - und ein großer Kerl, der Hennen aus den Nestern sammelt und sie in einen kleineren mobilen Hühnerstall setzt.
Das wäre dann wohl ich, Samstagmorgens.

Der einzige Unterschied ist, dass ich mir die Hennen die noch legen heraussortiere, um ihnen (denen die die 12 Monate Legestress noch nicht zu sehr an die Substanz gegangen ist) noch ein paar Monate extra zu geben.
Wo ich den letzten Satz schreibe und mir überlege was ich als letztes Wort setze; "geben", "schenken", "gewähren", "lassen"(???) fällt mir auf, wie sehr es genau das Vokabular ist, das vor allem "die Veganer" in ihren Schriften gegen Tierhaltung anprangern.
Ein, wenn man so will, gottgleich-anmaßendes Vokabular. Da gibt es keine Euphemismen.

Und auch die Gesichtslosigkeit ist gegeben.
Ich nehme die Hennen die auf den Nestern sitzen. Das wars.
Es sind nicht unbedingt diejenigen, die noch die meisten Eier auf zehn Tage oder zwei, drei Wochen gesehen legen, sind nicht unbedingt diejenigen, die die nächsten Monate von der Konstitution her am besten überstünden, oder gar diejenigen die von ihrem Charakter her für die Herdenstruktur essenziell sind - einfach diejenigen, die von ihrem Rhythmus her dran waren am Samstag dem 29. Juni zwischen 5.30 und etwa 10.15 ihre Eier zu legen.
Die einzigen Ausnahmen werden die Hennen sein, die als Pflegefälle aus der Herde genommen wurden und frei auf dem Hof herumlaufen, die beiden Hähne und eine Henne, die der Kindergarten mal humpelnd gefunden, gesund gepflegt, lieb gewonnen und mit einem Bändchen markiert hat.
Sie werde ich mir noch schnappen.

Ansonsten die 90, die ich in den knapp viereinhalb, fünf Stunden in den kleinen Mobilstall sortiert habe.

So selbstkritisch das jetzt klingt, ich finde die Geste, die Hennen nicht einfach allesamt wegzuschlachten, sondern den Versuch zu unternehmen die robusten, die mit der absurd hohen Eierzahl der Hybridhennen über die Legeperiode am besten klarkamen noch ein paar Monate länger zu halten, einen Schritt in die richtige Richtung.

Im Rahmen des Sortierens ist aber ein alter Gedanke wieder gekommen, ein Gedanke, den ich eigentlich schon wieder als zu komplex und umfangreich verworfen hatte: ich hatte mir mal vor ein paar Wochen überlegt als Jahresarbeit im 4. Lehrjahr (Teil der Freien Ausbildung) eine Gegenüberstellung der klassischen Legehennenhaltung, die sich vom Zukauf der 20-wöchigen Hybridhennen, über eine knapp einjährige Legeperiode bis zum Aussortieren und Ersetzen der Hennen erstreckt, mit der Haltung einer Zwiehuhnrasse inklusive Brut, Aufzucht der Legehennen und Bruderhähnchen, der Schlachtung der Hähnchen, der Legeperiode der Hennen, bis zum Abgang, den man bei den etwas schwereren Hennen auch positiver sehen könnte, weil sie im Gegensatz zu den Hybriden nicht nur aus besserem Leder und Knochen bestünden.

Solche Projekte gibt es natürlich schon, einmal das Kollbecksmoorhuhn und zum anderen die Initative "ei care".
Zusätzlich gibt es noch Versuche an verschiedenen Stellen; Höfen, konventionellen Zuchtfirmen und Fachhochschulen, wo auf verschiedene Arten das Bruderhähnchendilemma anzugehen versucht wird, Zuchtversuche mit Sulmtalern, Australorps, Italienern, Zwiehuhnhybriden und so weiter.

Aber die Situation der CSA, wo Menschen sagen, dass sie die Hofprojekte unterstützen, weil sie gut finden was gemacht wird und weil sie den Landwirten ermöglichen wollen andere, weniger von den Tagespreisen abhängige, Wege zu gehen, ist eine Möglichkeit Menschen zu sensibilisieren - vor allem weil es Projekte wie "ei care", die ja versuchen müssen sich im freien Markt zu etablieren anscheinend ein bisschen stockend laufen.

Ich hätte hier die Möglichkeit im vierten Lehrjahr einen solchen Paralleldurchlauf zu machen und dokumentieren, ohne in dem Dilemma zu stecken mich damit wirtschaftlich behaupten zu müssen.

Auch in dem Wissen, den Initatoren von ei care und so weiter in den Hintergründen nicht das Wasser reichen zu können, wäre eine solche Jahresarbeit eine Sache die mich interessieren würde, und wenn es nur herausbringt, dass ich irgendwann nebenbei noch ein paar Hühner halten könnte, die Hähnchen mästen und die Hennen legen lassen, ohne einen finanziellen Verlust einzufahren - oder auch das Gegenteil.

Und, so komisch es für viele klingen mag, da dann das Hennensortieren mir ein nicht ganz so schlechtes Gefühl geben würde, weil ich sie vom ersten Tag her kennen würde, wüsste dass sie mich kennen und wüsste, dass sie Teil des Hofkreislaufes wären - wie "wir" in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft uns das eigentlich wünschen.
Und dass sie nicht nur fürs Legen leben, sondern auch um sich ein bisschen wohl zu fühlen - wobei ich sagen muss, dass mich die Hybriden die ich zuhause hatte, oft beeindruckt haben, weil sie schon einiges mehr an Power hatten als Hennen klassischer Rassen die da mit auf dem Hof herumgelaufen sind.
Aber das waren auch drei-, vier-, fünf-, sechs- und siebenjährige Hennen, die ihren Peak an Legeleistung hinter sich gelassen hatten (aber trotzdem noch mehr Eier legten als Italiener-, Ramelsloher-, Maran- oder Araucanahennen (von den Brahmas mal ganz zu schweigen)).






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